Die Verkehrswende ist kein Knebel, sondern eine Zukunftschance

Von Gert Dieter Meier

Wie wird es wohl in unseren Städten im Jahre 2045 aussehen? Eine Frage, die in den letzten Jahren immer häufiger in Diskussionen, Workshops oder in diversen kommunalen, regionalen und nationalen Gremien auftaucht. Und immer wieder für höchst emotionale Debatten sorgt. Denn seit den menschengemachten Klimawandel nur noch verbohrte Hardcore-AfDler leugnen, seit sich, infolge dieses Missstandes, die Notwendigkeiten des Wandels etwa bei der Stadtplanung, beim Nahverkehr oder der Mobilität grundsätzlich auftürmen zu einer herausfordernden Mammutaufgabe, zeichnet sich auch eine bisweilen gnadenlose Verhärtung der Fronten ab.

Zugespitzt lässt sich konstatieren, dass es in der Mehrzahl Autofahrer sind, die sich vehement gegen allzu massive Veränderungen stemmen, die auf den ersten Blick zu ihren Lasten gehen könnten. Vermutlich tun sie das auch deshalb mit so großer Leidenschaft und Lautstärke, weil die Stadtplanung seit Jahrzehnten sich vor allem am Wohl der Autofahrer ausgerichtet hat und also eine Art Gewohnheiteffekt entstanden ist frei nach dem Motto „Auto first“. Es enstanden breite Straßen mit schmalen Gehwegen als kleines Zugeständnis an die Fußgänger, Parkraum überall dort, wo sich eine Lücke auftat, Kurzhaltezonen, damit die Einkäufer auf vier Rädern auch allüberall zum Zuge kamen. Alles war irgendwie autogerecht. Und damit gut.


Meine These: Ginge es alleine nach den Autofahrern, dann würde das Thema Stadtverkehr wohl noch sehr lange mit nur vier Buchstaben beschrieben: A-U-T-O! Und es gibt durchaus auch Argumente, die für ihre Sicht sprechen. Wenn etwa eine Familie irgendwo in einem Ort im Landkreis lebt, der über den öffentlichen Personennahverkehr (Busse, Bahn) gar nicht oder auch nur schlecht angebunden ist, dann bleibt zunächst nur das Auto. Und wenn dann Kinder im Haushalt sind, braucht es häufig sogar deren zwei. Das ist ein Argument, das nicht so leicht vom Tisch zu wischen ist. Und sich einfach auf den Standpunkt zu stellen: Das betrifft doch nur „die auf dem Land“, ist zu kurz gesprungen. Denn „die“ arbeiten häufig in der Stadt, gehen hier in die Kneipen, zum einkaufen oder zum Sport oder ins Konzert. Und wenn „die“ zudem in einer Region leben, das auch nicht mit leistungsfähigen Radwegen ausgestattet ist (und das sind halt leider auch die wenigsten), dann bleibt eben für absehbare Zeit nur das Auto. Auch wenn es die Chance gäbe, über Fahrgemeinschaften nachzudenken, Park-and-Ride-Plätze in der Region zu schaffen oder – mittelfristig – auf einen verbesserten ÖPNV z.B. durch fahrerlose Bussysteme zu hoffen.

Halten wir also fest: Wer den Mobilitätswandel will, der muss auch Angebote schaffen, die es den Menschen erlauben, das eigene Auto in der Garage zu lassen.

Aber auch wenn diese Probleme nicht kleingeredet werden dürfen, so dürfen sie uns doch nicht in unserem Tatendrang bremsen, unsere Städte lebenswerten zu gestalten. Wie das gehen und vor allem: aussehen könnte, das beschreibt sehr eindrucksvoll das Buch „Zukunftsbilder 2045 ­– eine Reise in die Welt von morgen“ (oekom Verlag München, 2023, Stella Schaller und andere, ISBN 978-3-96238-386-2, 33 Euro). Es beinhaltet zum einen das Faktenwissen bis Ende 2022 (mit Quellenangaben). Aber in dem Buch findet sich zwangsläufig auch jede Menge Fiktion. Vieles sei also, schreiben die Autoren im Vorfeld, „von uns frei erfunden, um Ihre Vorstellungskraft anzuregen“. Die Autoren befassen sich in vielen schlüssigen, bisweilen natürlich auch optimistischen Texten und mit spannenden Bild-Gegenüberstellungen „Heute und 2024“ mit zentralen Fragen der Stadtentwicklung heute und morgen. Mit ihrem Buch wollen die Autoren, wie sie selbst schreiben, „Begeisterung und Tatkraft für das Neue“ schaffen: „Wir müssen Lust bekommen auf die Zukunft. Die wir mitgestalten sollen. Und dafür brauchen wir ein Bild dieser Zukunft.“ Und sie wollen aufzeigen, dass so mancher „Verzicht“ – etwa auf ein Auto für jeden der acht Milliarden Menschen auf Erden ­– in Wahrheit ein Gewinn ist, nämlich an Natur, Gesundheit und Lebensqualität.“ Wer sich auf dieses Gedankenmodell der vier Autorinnen und Autoren einlässt und auf deren Geschichten und Berichte aus dem Jahr 2045 mit vielen Rückblenden auf das Jahr 2022 und seine Krisen, der bekommt, im besten Fall, ein klares Bild davon, was wir heute tun sollten, damit unsere Städte morgen nicht schaden nehmen, sondern sich positiv entwickeln. Und das ist eine Erkenntnis von unschätzbarem Wert.

è Halten wir also fest: Wer Zukunft mutig gestalten will, muss heute loslegen.

Einer, der genau diese Prinzipien gelebt hat und noch immer lebt, ist der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl (87). Gehl gilt heute als einer der führenden Experten für Stadtentwicklung. Die Hannoversche Allgemeine schrieb über ihn: „Er ist der Mann hinter der Wiederbelebung von New Yorks Zentrum, er hat einen Ausbau von Fußwegen in Moskau und von Plätzen in London initiiert – und er hat bewirkt, dass jährlich rund 400 Stadtplaner die dänische Metropole Kopenhagen besuchen.“ Denn Kopenhagen ist sozusagen die Referenz-Stadt für seine Art des Stadtumbaus. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass die dänische Hauptstadt mit ihren rund 650.000 Einwohnern mehrfach schon als lebenswerteste Stadt der Welt ausgezeichnet wurde, so spricht das natürlich auch für Gehls Visionen und deren Umsetzung.

Gehls Ansatz ist eigentlich sehr einfach. Und nachvollziehbar. Er sagt beispielsweise das: „Viel zu lange haben wir Städte geplant, als wollten wir Autos glücklich machen. Dabei sollen Städte doch Menschen glücklich machen.“ Oder er schreibt denen ins Stammbuch, die mit Stadtplanung zu tun haben: „Denkt zuerst an die Menschen, dann an Verkehrswege. Eine gute Stadt ist wie eine gute Party. Die Leute bleiben dort länger als nötig, weil sie sich wohlfühlen.“

Städte für Menschen, so heißt das vielleicht wichtigste Werk Gehls, sind zum Markenkern von Gehls Stadtansichten geworden. Aber nicht nur er dachte radikal, er fand auch Partner, die diesen Weg mit ihm gingen. Nach Jahren, in denen Fußgängerflächen immer stärker reduziert wurden, legte Kopenhagen Anfang der 1960er Jahre als erste europäische Stadt den Schalter und begann den Autoverkehr und Parkplätze in der Innenstadt zu reduzieren. Nicht etwa aus ideologischen Gründen, sondern um dem Stadtleben mehr Raum zu geben. Das Ziel wurde erreicht, wie Gehl berichtet: „Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass die Bewohner die neue Fußgängerzone schneller und in größerer Zahl akzeptierten und nutzten als zuvor angenommen. Allein im ersten Jahr wurden dort 35 Prozent mehr Fußgänger gezählt als vorher; es war bequemer, dort zu Fuß einzukaufen und es gab mehr Platz. Seitdem sind weitere Straßen in autofreie Zonen umgewandelt worden und einstige Parkplätze zu Orten, an denen sich das öffentliche Leben abspielt. Von 1962 bis 2005 stieg die Quadratmeterzahl autofreier Zonen in Kopenhagen von rund 15.000 auf über 100.000 Quadratmeter.“

è Halten wir also fest: Angebot schafft Nachfrage, auch bei umgewandelten Plätzen und Wegen

Und was hat das alles mit uns, mit dem Hier und Heute, mit Bayreuth zu tun? Eine ganze Menge. Denn Bayreuth, eine durch und durch autoaffine Stadt, erlebt gerade hautnah und bisweilen schmerzhaft, wie hitzig die Debatten werden, wenn es um Stadtentwicklung und die Neuordnung von Verkehrsräumen geht.  Dabei geht es nicht etwa darum, Hauptverkehrsachsen stillzulegen oder Kreuzungen für den gesamten Verkehr zu sperren, sondern es geht darum, den Verkehrsraum Bismarck- und die Erlanger Straße gerechter zu verteilen. Will man aber den Radfahrern in diesen Straßen mehr Platz und eigene Verkehrswege geben, will man dort auch wieder mehr Grün vorsehen, die Busse an bestimmten Stellen gegenüber dem Individualverkehr beschleunigen, die Querungen für Fußgänger verbessern, dann muss man jede Richtung eine Spur „opfern“. Und das führt zu einem Aufschrei vor allem unter Autofahrern. Und plötzlich redet kaum noch jemand über den gesellschaftlichen Nutzen dieser geplanten verkehrlichen Neuordnung (mehr Sicherheit im Quartier für alte Menschen, Kinder und im Bereich von Schulen, Kindergarten/Kirche), sondern vor allem über drohende Staus, hirnlose Planungen und Geldverschwendung. Dabei gibt es Zahlen, Fakten und Prognosen, die den Schluss zulassen, dass es eben auch nach dem Umbau nicht zu langen Staus und ewigen Wartezeiten kommen wird.

Zudem darf man nicht vergessen, dass die Stadt einmütig beschlossen hat, bis 2040 klimaneutral zu sein. Was auch bedeutet, dass bis dahin vor allem im Verkehrsbereich Veränderungen herbeigeführt werden. Wie die aussehen könnten? Nun, es braucht zunächst nachhaltige Verbesserungen im Bereich des ÖPNV ­– also eine gute Taktung der Busse (auch in die Region!), ein besseres Angebot für die Abend- und Nachtstunden und an Wochenenden; es braucht barrierefreie Haltestellen und es braucht sogenannte Mobilitäts-Hubs, an denen man in den Bus einsteigen und das eigene Rad oder den Roller abstellen kann. An alledem wird bereits gearbeitet. Es braucht ferner einen deutlichen Ausbau des städtischen Radwegenetzes, und es braucht ein schlüssiges Mobilitätskonzept­ – auch das ist bereits in Arbeit, aber eben längst noch nicht in trockenen Tüchern. Am Ende braucht es aber auch und vor allem die Bürgerinnen und Bürger, die schon heute den Mut und die Lust haben, die Stellschrauben zu drehen für eine gedeihliche und menschenfreundliche Stadtentwicklung.

Halten wir also fest: Wir müssen darüber berichten, was wir schon geleistet haben, woran wir zum Beispiel in der Stadtverwaltung arbeiten und welche Ziele wir verfolgen, um die Stadt besser zu machen.

Es steht mir nicht zu, den Menschen Ratschläge zu erteilen. Gleichwohl erlaube ich mir einen Hinweis vor allem an meine Generation – und damit vor allem an ältere Menschen: Wir alle sollten bei der Frage, wie die Städte morgen aussehen sollten, wie sich die Menschen dann fortbewegen, nicht die vielleicht kühnen Ideen von jungen Menschen von vornherein für verrückt, ideologiegetrieben oder blödsinnig einstufen. Denn sie sind es, die dann in den Städten leben werden. Nicht wir. Und man sieht ja schon heute, dass sich Lebenswirklichkeiten nachhaltig verändern. Für viele jüngere Menschen ist das Auto längst kein Statussymbol mehr, sondern einzig ein mal mehr, mal weniger sinnvolles Fortbewegungsmittel. Das man gar nicht mehr unbedingt selbst besitzen, sondern mit anderen teilen kann. Für mehr und mehr Menschen wird auch das Fahrrad, wenn denn die Rahmenbedingungen passen, zum Verkehrsmittel Nummer eins. Zumindest für den Nahverkehr, der ja bei den meisten Menschen das Gros bei der täglichen Fortbewegung ausmacht. Und man sieht, dass auch der Bus gerne genutzt wird, wenn er denn die Menschen verlässlich zu ihren Zielen bringt, umweltfreundlich verkehrt und vor allem: bezahlbar ist.

Mein persönlicher Wunsch wäre es in diesem Zusammenhang, wenn wir bei der Frage, wie wir gemeinsam die Verkehrswende schaffen können und wollen, mehr Toleranz und Offenheit an den Tag legen würden. Denn das Ziel, unsere Stadt besser für die Menschen zu machen, ist ja unstrittig. Nur welcher Weg zu diesem Ziel führt, ist umstritten.  Beschimpfungen, Verallgemeinerungen, fake news oder gar Beleidigungen mögen zwar vor allem in den sozialen Medien längst zur fast schon üblichen Umgangsform gehören, sie haben aber noch nie wirksam zur Lösung eines Zukunftsproblems beigetragen. Bleiben wir also, alle miteinander, gelassen!

Sie haben eine Anmerkung zu diesem Beitrag oder eine ganz andere Meinung  – schreiben Sie mir gerne eine Mail an gdmeier@web.de

Zur Person
Gert Dieter Meier ist seit mehr als 35 Jahren Journalist ­- und vor allem in den Bereichen Kommunalpolitik und Kultur unterwegs. Seit 2020 gehört er als Unabhängiger dem Bayreuther Stadtrat an. Für Bayreuth 4U beleuchtet Meier, der im Stadtverkehr so oft es geht das Fahrrad benutzt, aber natürlich auch Autofahrer ist, in seiner monatlichen Online-Kolumne „Stadtparkett“ das Geschehen in Bayreuth.

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