Wir brauchen eine Zukunftsdebatte

Wilhelminenaue oder: Warum es um mehr geht als „nur“ um Vermüllung oder Zerstörung des früheren Landesgartenschaugeländes 

Bayreuth streitet. Und das ausgerechnet über ein Gebiet, das eigens dafür  geschaffen wurde, damit sich die Menschen dort inmitten der Natur entspannen und erholen können. Die Rede ist, natürlich, von der Wilhelminenaue. 

Für die Landesgartenschau 2016 (Motto: „Musik für die Augen“) ist zwischen dem Stadtteil St. Georgen und der Eremitage ein 45 Hektar großes Areal zum Naherholungspark um- bzw. zurückgebaut worden.  900.000 Menschen kamen, um sich von Auen, Blumen und dem neu angelegten Hammerstätter See in den Bann ziehen zu lassen. Die Rechnung ging auf. Und seither hat die Stadt eine sehr beliebte Grünfläche für die kleine Auszeit zwischendurch. Radeln, bummeln, spielen, in der Sonne liegen, ein Glas Wein zum Sonnenuntergang. Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Weit gefehlt. Zwar gibt es Wohlfühlbilder und -szenarien, Sonnenuntergangsmotive und Gruppenbilder mit und ohne Damen zuhauf in den sozialen Medien, aber leider eben auch Überschriften wie diese aus dem Nordbayerischen Kurier: „Wilhelminenaue: Scherben, Müll und Schlägereien“, die nur zu deutlich darauf verweisen, dass Bayreuth es hier ­– auch – mit einem Problem zu tun hat. Oder doch mit einem Konflikt?

Die Ausgangslage 

Die Corona-Pandemie hat die Welt verändert. Nach Angaben der US-amerikanischen Johns Hopkins University (JHU) haben sich bislang rund 210 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, mehr als 4 Millionen Menschen haben diesen Kampf verloren. Das Virus und seine fiesen Mutanten sind nicht nur irgendwo in fernen Ländern aktiv, sondern auch bei uns, in Bayreuth. Weshalb es in der Stadt die bekannten Maßnahmen brauchte, um die Verbreitung einzudämmen: Abstand, Masken, Impfungen, Lockdowns und andere Maßnahmen, um große Menschenmengen zu verhindern. Deshalb wurden Kneipen und Clubs geschlossen, deshalb wechselten Universitäten und Schulen in den Fernlernmodus, deshalb wurden Dienstreisen gestrichen und gezoomt, was das Zeug hält. Deshalb gab es weder Partys noch Konzerte, kaum noch Begegnungen in der Clique, keine Sportevents, kein Kino, geschlossene Jugendzentren.

So gesehen war es gut und richtig, dass viele Jugendliche dann, als man sich wenigstens wieder draußen treffen konnte, die Abgeschiedenheit der Wilhelminenaue für sich entdeckt haben. Um mit anderen mal wieder richtig zu feiern. Und weil das Areal groß und die Gefahr, erwischt zu werden, wenn Partys mal ausarten oder Partyflächen nach nächtlichen Gelagen als Müllablageflächen enden, entsprechend klein ist, mutierte die Wilhelminenaue immer mehr zum Hotspot. Jeder, der dazugehören wollte, musste dort sein. 

Die Lage heute

Gegen Feiern ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings sind die Verhältnisse immer wieder aus dem Ruder gelaufen. Anwohner fühlten sich in ihrer Nachtruhe gestört, der Pächter des Kulturkiosk musste es immer öfter hinnehmen, dass bei ihm Inventar beschädigt wurde. Und das Stadtgartenamt kam gar nicht mehr hinterher, die Müllberge nach ausgelassenen Feierwochenenden und die im Vorbeigehen angerichteten Schäden (ausgerissene Pflanzen, kaputte Beleuchtung etc.) zu beseitigen. Kurzum: Die Lage eskalierte, die Volksseele kochte. Weshalb auch die Stadt schon im Sommer 2020 auf eine Anfrage der Fraktion FD?/DU/FL zur Lage in der Wilhelminenaue antwortete: „Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Problematik inzwischen eine Dimension, die die Kompetenz von Stadtgartenamt als Fachdienststelle für Grünflächenpflege und -unterhalt übersteigt.“ Zudem wurden zusätzliche nächtliche Kontrollen angekündigt, um die Problemlage in Griff zu bekommen.

Wirklich verbessert freilich hat sich die Lage seither nicht, im Gegenteil: nachdem an einem Wochenende laut Teilnehmerangaben mehr als 2000 Jugendlichen dort (ihr Abitur) feierten und es in der Folge abermals zu Vorfällen der bekannten Art kam, nahmen die Debatten massiv an Schärfe im Ton und Pauschalität bei der Schuldzuweisung zu. Die Rede war nicht mehr von einigen Wenigen, die es übertrieben, ins Fadenkreuz der Stammtische gerieten immer mehr „DIE Jugendlichen“.

Insofern war es gut und wichtig, dass sich einige Player auf Initiative des Nordbayerischen Kuriers dazu entschlossen, nicht mehr nur übereinander, sondern miteinander zu reden. Am Runden Tisch nahmen Platz: Der Oberbürgermeister, Kultur-Kiosk-Chef Coco Sturm sowie drei Jugendliche, die sich nicht länger als Ruhestörer, Schläger und Chaoten bezeichnen lassen wollten nur weil sie in der Wilhelminenaue gerne feiern.

Was bei dem Treffen herauskam? Dass man größere Müllbehältnisse aufstellen und gezieltere Kontrollen machen wolle. Diskutiert wurden auch Videoaufnahmen, die Zuschaltmöglichkeiten von Licht über Bewegungsmelder an bestimmten Hotspots und, und, und.

Und nun?

Natürlich können all diese Vorschläge dazu beitragen, dass sich die Lage kurzfristig entspannt. Aber ich denke, dass ein Runder Tisch im kleinen Kreis nicht ausreichen wird, das eigentliche Problem zu lösen. Und auch der Ruf nach Streetworkern ist nur ein hilfloser Versuch, die unvernünftigen Jugendlichen zur Vernunft zu bringen. Was sollen ein paar Sozialarbeiter schon anrichten, wenn noch nicht mal die Polizei Herr der Lage wird im naturnahen Partyareal.

Es braucht keine kurzfristigen Maßnahmen, sondern eine Langfriststrategie, einen Diskurs auf breiter Ebene. Zwischen Alt und Jung, zwischen Jugendlichen und Stadt; wir alle müssen, gemeinsam mit Polizei und Streetworkern, tiefer in die Problemlagen einsteigen. Weil Appelle alleine längst nicht mehr ausreichen; weil die Hoffnung, dass die Masse der Jugendlichen die wenigen „Dödel“ (Oberbürgermeister Thomas Ebersberger) selbst zur Räson bringen sollte, sich genauso wenig als tragfähig erweisen dürfte wie die  gebetsmühlenartige Betonung von sachlich völlig korrekten Benimmregeln früherer Tage (Wer Dinge mitbringt auf das Gelände, soll sie gefälligst auch wieder mit nach Hause nehmen). Weil das Thema nicht nur ein irgendwie hausgemachtes Bayreuther Konfliktfeld beleuchtet, sondern auf ein grundsätzliches Problem verweist. Und weil es nicht reicht, immer nur an Symptomen herumzudoktern, anstatt an den Wurzeln der Probleme anzusetzen.

Deshalb müssen wir uns ernsthaft fragen, was Städte und Gemeinden ihren Jugendlichen noch bieten können oder zukünftig bieten müssen. Deshalb müssen wir gemeinsam mit den Jugendlichen herausfinden, wie Jugendliche und junge Menschen im Erwachsenenalter sich ihre Stadt vorstellen, welche Erwartungen sie an die Allgemeinheit haben und unter welchen Voraussetzungen sie sich in und für ihre Heimat engagieren und sich für das Projekt Zukunft begeistern. Initiativen wie das forum1.5 ( https://forum1punkt5.de) sind schon auf einem guten Weg hin zu diesen wichtigen Zukunftsfragen.

Deshalb müssen wir nicht immer nur über die Jugendlichen und unsere Sicht ihrer Vorstellungen reden, sondern mit ihnen. Und das nicht nur bei den sattsam bekannten Jugendthemen, sondern in allen Fragen der Stadtgestaltung. Wenn es um Verkehr oder Stadtplanung, Kultur oder Sport, Bildung oder Wirtschaft geht. Denn all das geht die Jugendlichen von heute spätestens morgen an.

Deshalb sollten wir Jugendliche auch unbedingt früher als bisher in die gesellschaftliche Mitverantwortung nehmen und sie endlich bereits mit 16 Jahren wählen lassen. Die Herabsetzung des Wahlalters ist keine Gefahr, sondern eine Chance.

Deshalb sollten wir die Anstrengungen zur Partizipation Jugendlicher deutlich ausbauen. Weil diese Partizipation auch bereichernd ist, indem auch bei wichtigen Fragen ganz neue Betrachtungsweisen zum Tragen kommen.

Klar ist, dass es kein leichter Weg werden wird, einen solchen Prozess zum Erfolgsmodell zu machen. Zumal es ja auch in Bayreuth früher schon eine Einrichtung wie das Jugendparlament gab, das sich freilich mehr und mehr als zahnloser Tiger erwiesen hat und deshalb 2014 wieder eingestampft wurde. Wobei ich unverändert der Auffassung bin, dass das nicht alleine an den Jugendlichen lag, sondern zumindest auch an der mangelnden Ernsthaftigkeit und den nicht vorhandenen Strukturen, sie wirklich einzubinden bei der Frage, wie Bayreuth morgen aussehen soll. 

Bock auf Zukunft

Der Zeitpunkt für einen solchen Prozess ist günstig. Das Interesse vieler Jugendlicher, sich für ihre Welt und ihre Zukunft zu engagieren, ist aktuell extrem ausgeprägt. Das spürte man bereits bei einem Thema wie dem Radentscheid, das nicht von der Politik gesetzt, sondern auch und vor allem von Jugendlichen angeschoben und mitgetragen wurde. Besonders deutlich wird die Entschlossenheit, sich nicht länger nur mit der passiven Zuschauerrolle zu begnügen, bei allen Fragen, die den Klimawandel betreffen. Da sind die eigentlichen Treiber längst nicht mehr die Politiker, sondern die Jugendlichen, die nicht nur hellwach, sondern auch bereit sind, in verschiedenste Projekte viel Lebenszeit und Arbeit einzubringen. Das alles zeigt: Die Jugendlichen von heute haben Bock auf Welt und Zukunft, aber nicht auf Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Wir müssen sie nur mitreden lassen und sie ernsthaft einbeziehen anstatt sie immer nur zu belächeln…

Mit Partnern agieren

Wenn es nun noch gelänge, diese zentralen Fragen zu koppeln mit der Frage, wie die Welt vor unserer Haustüre gestaltet werden kann, damit wir alle darin Erfüllung finden und glücklich leben können, dann wäre das ­eine herausragende Investition in unsere Zukunft. Ganz wichtig: Die Stadt sollte diesen Weg nicht alleine gehen, sondern unbedingt Partner einbeziehen, die naturgemäß einen anderen Blick auf Problemlagen haben wie eine Kommune. Und dieser Blick ist bereichernd auch und gerade für die Stadtpolitik. Wer das sein könnte? Beispielsweise die Universität oder auch der Stadtjugendring. 

Optimismus schadet nicht

Debatten über die Zukunft und dann auch noch mit Jugendlichen? Ich höre schon die Reaktionen: Alles Käse, naive Träumerei, nie und nimmer machbar! Haben wir doch alles schon probiert. Richtig ist, dass ein Diskurs über die Stadt von morgen schwierig wird. Mag auch sein, dass der eine oder andere Ansatz naiv gedacht ist. Aber dennoch macht es Sinn, dass wir uns vor allem mit denen ernsthaft über Zukunftsfragen unterhalten, die Zukunft betrifft – auch wenn das bedeuten könnte, dass sich dafür auch unsere (ältere) Sicht auf die Gegenwart verändern muss. Und es macht auch Sinn, diese Herausforderung mit einer guten Portion Optimismus anzugehen. Denn wer nicht an die Möglichkeit der Veränderung glaubt, wer nur verzagt auf die Misserfolge der Vergangenheit schaut, der braucht es gar nicht erst zu versuchen, die Welt jeden Tag ein Stück besser zu machen. Merke: Nicht die Nichtstuer und Skeptiker bringen die Welt voran, sondern die Optimisten und die vermeintlichen Utopisten. Und weil ich ein unerschütterlicher Optimist bin, schließe ich mit diesem zugegebenermaßen etwas pathetisch klingenden Satz von Konfuzius: „Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen“.  

Ihr habt eine Meinung zu diesem Text? Dann schreibt sie mir gerne: gdmeier@web.de

Zur Person
Gert-Dieter Meier (64) ist seit mehr als 35 Jahren Journalist ­– vor allem im Bereich Kommunalpolitik und Kultur – unterwegs. Seit 1. Mai gehört er als Unabhängiger dem Bayreuther Stadtrat an. Für bayreuth4U beleuchtet Meier in seiner monatlichen Kolumne das Geschehen in Bayreuth.

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